Kritische Auseinandersetzung mit dem Namen “Wildlinge”

Content Note: Rassismus


Wildling ist die Bezeichnung für junge Bäume oder Pflanzen, die aus Samen oder Samenkeimlingen von Bäumen wachsen, die nicht absichtlich gepflanzt wurden. Diese Bäume entwickeln sich auf natürliche Weise, oft durch den Wind, Tiere oder andere Umwelteinflüsse verbreitet, und keimen an Orten, die nicht von Menschen ausgewählt wurden. Wildlinge können eine wichtige Rolle bei der natürlichen Regeneration von Wäldern spielen, da sie die Vielfalt und das Wachstum von Bäumen und anderen Pflanzen unterstützen.
Davon leitet sich unser Name ab. Im Namen Wildling steckt jedoch auch der Begriff “wild”, der eine rassistische Stereotypisierung sein kann.

Der Begriff “wild” kann in bestimmten Kontexten oder historischen Zusammenhängen problematisch sein, besonders wenn er auf Menschen oder Kulturen angewendet wird.Der Begriff “wild” wurde von weißen Menschen historisch verwendet, um indigene Gruppen oder Kulturen zu beschreiben, indem sie als “primitiv”, “unzivilisiert” oder “unterentwickelt” abgewertet wurden. Dieser Gebrauch des Begriffs war Teil einer rassistischen und kolonialen Rhetorik, die zur Unterdrückung, Ausbeutung und Entmenschlichung von indigenen Gemeinschaften beitrug. 
Gleichzeitig kann der Begriff „wild“ verschiedene Bedeutungen haben. In einem naturbezogenen Kontext kann er einfach unberührte Natur oder Gebiete beschreiben, ohne rassistische Konnotationen. Dennoch ist es entscheidend, die historischen und sozialen Kontexte zu berücksichtigen, in denen bestimmte Begriffe verwendet wurden oder werden, und sensibel mit ihrer Verwendung umzugehen. 
Hier sind wir immer wieder in Auseinandersetzung und Austausch miteinander, versuchen verschiedene Perspektiven einzunehmen & Stimmen zu hören, weiterzuforschen, zu lernen und auch nachzudenken über einen passenden neuen Namen. Über Anregungen, Feedback & Gedanken freuen wir uns immer (gerne Mail an wildlinge@riseup.net)
Darüber hinaus ist auch die Verwendung des Begriffs in der Wildnispädagogik kritisch zu betrachten. Hier geht es schnell, dass eine Romantisierung von “Wildheit” und “Wildnis” stattfindet,  ohne dass eine Auseinandersetzung mit diskriminierenden Aspekten und historischen Kontexten stattfindet: Während der Kolonialisierung wurden viele Gebiete als “Wildnis” bezeichnet, um sie als “nicht-zivilisiert”, “unkultiviert” oder “ungenutzt” zu charakterisieren. Dies diente dazu, die legitimen Ansprüche indigener Gemeinschaften auf ihr Land zu negieren und zu rechtfertigen, dass dieses Land von Kolonialmächten eingenommen und umgewandelt wurde. Dieser Gebrauch des Begriffs war Teil einer umfassenderen rassistischen Ideologie, die indigene Gemeinschaften als minderwertig oder primitiv darstellte. 
Es ist wichtig zu betonen, dass ein Problem in der Annahme liegt, zivilisierte Kulturen seien per se besser als nicht-zivilisierte Kulturen. Diese Annahme könnte dazu führen, nicht-zivilisierte Kulturen unbeachtet zu lassen oder das Vorurteil zu verstärken, dass eine Abweichung von zivilisierten Normen negativ sei. Es ist entscheidend zu erkennen, dass das Wort “zivilisiert” unterschiedliche Bedeutungen hat: Einerseits beschreibt es komplexe städtische Gesellschaften mit hierarchischen Strukturen, andererseits wird es verwendet, um unsere westlichen kulturellen Praktiken als überlegen darzustellen. So werden auch per Definition zivilisierte Kulturen als “nicht-zivilisiert” bezeichnet, um ihre Unterdrückung oder Zerstörung zu rechtfertigen.
Bei all diesen Begriffen, bei denen die Gradwanderung der Nutzung sehr schmal ist, um nicht Menschen damit zu diskriminieren/verletzen, braucht es eine Auseinandersetzung mit all ihren Bedeutungen. Leider haben weiße Menschen diese Begriffe sehr negativ aufgeladen mit rassistischen Annahmen und Zuschreibungen, die niemals der Realität entsprachen, sondern lediglich der Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung von Menschen und Natur dienten. Und die dadurch entstandene Ungleichheit & Ungerechtigkeit bestehen bis heute! All diese Begriffe werden weiterhin auch genutzt, um Menschen zu marginalisieren und zu diskriminieren und so die weiße Vorherrschaft aufrecht zu erhalten. Es liegt also in unserer Verantwortung, behutsam mit diesen Begriffen umzugehen, offen für Feedback zu sein und Kritik anzunehmen. 

Wildlinge & die Selbstorganisation

Selbstorganisation bedeutet, dass alle gemeinsam entscheiden, ohne dass eine einzelne Person vorgibt, was zu tun ist. Ein Beispiel dafür sind Schwärme von Vögeln, die sich gemeinsam in der Luft bewegen, ohne dass ein einzelner Vogel die Richtung vorgibt. Jedes Mitglied der Gruppe reagiert auf die Bewegungen der anderen, und so entsteht eine koordinierte Aktion, ohne dass eine feste Hierarchie existiert.
Selbstorganisation bedeutet, dass das, was wir nicht selbst in die Hand nehmen, auch nicht passiert. Das hat natürlich Nachteile, ist manchmal stressig, konfliktbehaftet, überfordernd. Vor allem aber ist es ein großartiger, empowernder Lernraum, die Freiheit, uns selbstbestimmt nach unseren eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten auszurichten und Verantwortung für unsere eigene Lernwege und für die Gruppe zu übernehmen. 
Selbstorganisation braucht Commitment. Das bedeutet sowas wie Verbindlichkeit, Hingabe oder Engagement. Und heißt für dich: wenn du was starten oder mitmachen willst, dann mach vorher einen realistischen Kapazitätencheck, was du reingeben kannst. Macht in der Gruppe ein Kapazitätencheck, tauscht euch darüber aus, wie viel Zeit ihr in eine Aktion stecken wollt/könnt. Daran kann sich die Ausgestaltung eures Lernraums dann orientieren.
Um Camps/Treffen vorzudenken und währenddessen den Rahmen zu halten, hat sich in den vergangenen Jahren die Struktur etabliert, für jedes Mal ein Orga-Team in wechselnder Besetzung zu haben. Die verschiedenen Verantwortungsbereiche haben wir Tieren zugeordnet. So ist Fuchs dafür zuständig, Lerninhalte zu planen, Hamster kümmert sich darum, dass wir genug zu futtern haben, Bussard hat einen Überblick über die Struktur und moderiert Rederunden/Plena, Biber kümmert sich um die materiellen Dinge und Uhu beobachtet und ist Chronist*in. Amsel ist auch immer mit dabei & hat ein Auge auf die Awareness.  Die Tier-Rollen können je nach Bedarf der Gruppe genutzt, geteilt, umgeworfen oder erweitert werden – vielleicht brauchts ja auch noch Seepferdchen, das ein Auge auf die Kinder hat oder Otter für gelegentliche Zärtlichkeiten? Wir nehmen uns bei jedem Treffen die Zeit für einen Wildlings-Rat – unser Plenum. Hier besprechen wir, was so ansteht, treffen Entscheidungen und delegieren Verantwortlichkeiten.


Warum  eigentlich Selbstorganisation?
Nichts ist generell schlecht daran, wenn Dinge nicht selbstorganisiert sind. Ich lasse  mich gerne auf eine Party einladen, auf der für alles gesorgt ist, ich besuche gerne ein Seminar, in dem ich kunstvoll durch einen Lernprozess geführt werde, ohne vorher etwas mitorganisiert zu haben oder das Programm mitgestaltet zu haben.In unserer Gesellschaft finden sich viele solcher Räume, die sich einfach konsumieren lassen. Auf der anderen Seite gibt es nur wenige Räume, die wir selbst aktiv nach unseren Bedürfnisse und Wünschen gestalten können und in denen wir selbst Verantwortung dafür übernehmen können, dass sie so aussehen, wie wir sie uns vorstellen. Das bringt zwei negative Seiten mit sich: Zum einen verbringen wir einen Großeil unserer Zeit in Situationen, in denen wir nicht aktiv darauf achten können, dass das was passiert gerade unseren Bedürfnissen entspricht. In der Schule zum Beispiel müssen wir lernen, was uns vorgesetzt wird (oder zumindest so tun) oder an der Uni können wir zwar vielleicht unsere Kurse selber wählen, was aber genau unterrichtet wird und auf welche Weise, liegt außerhalb unserer Macht. In selbstorganisierten Räumen kriegen wir natürlich auch nicht immer zu 100% das, was wir uns wünschen, da wir uns zumeist mit anderen Menschen abstimmen und Kompromisse finden müssen. Aber wir können gemeinsam viel besser darauf achten, dass der von uns geschaffene Rahmen für alle möglichst gut passt und keine wichtigen Bedürfnisse übergangen werden.
Der zweite negative Aspekt von zu vielen fremd-organisierten Räumen ist, dass wir nie wirklich lernen, uns selber zu organisieren. Vielleicht lernen wir überhaupt nie, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen, oder wir wissen nicht, wie wir mit anderen gemeinsame Wege finden können, um zusammen etwas auf die Beine zustellen. Das bedeutet, dass wir immer davon abhänging sind, dass andere für uns das organisieren, was wir brauchen und mögen und dass wir dazu auch Zugang haben, zum Beispiel durch ausreichend Geld, um Kursgebühren zu bezahlen.Wir halten es für wichtig, uns in Selbstorganisation zu üben, um unsere Leben freier und selbstbestimmter gestalten zu können, um uns die Dinge und Räume, die wir uns wünschen, selbst gestalten zu können und nicht darauf hoffen zu müssen, dass irgendwer sie als konsumierbare Waren oder Dienstleistungen anbietet. Und es macht uns Spaß, selbst zu gestalten und mit anderen Menschen in direkte Beziehung zu treten, anstatt der Welt nur in der Rolle von Konsument*innen gegenüberzutreten. 
Bei den Wildlingen gibt es zudem noch einen ganz handfesten Grund für die Selbstorganisation:  Unsere Unzufriedenheit mit den Angeboten der meisten Wildnisschulen, die leider oft einen ziemlichen Unsinn verbreiten und dadurch eine ganze Menge Schaden anrichten. Mehr dazu findest du hier (link zum WiPäd-Kritik Artikel)